Kein Buch für Missionare

Alt schlägt eine Brücke zwischen der Zivilisation, deren Werte sich auf einen Mann berufen, der vor 2000 Jahren lebte und zu den Bibeltexten, in denen dessen Ideale in den Evangelien überliefert wurden. Der Autor betrachtet diese Texte dabei mit einem gesunden und wachen Verstand, was die „Institution Kirche“ nicht immer erfreuen kann. Zu den wichtigsten Aussagen des Autors gehört die Feststellung, dass Gott kein undefinierbares imaginäres Geisteswesen sein kann, was grundsätzlich zornig strafend auf die Erde herab blickt. In den Worten Jesu interpretiert er folgerichtig, das jeder Mensch, jedes Tier und jede Pflanze, ja die gesamte Welt und das Universum zusammen Gott sind. Jeder Mensch ist also Teil des Höchstem und nicht Knecht eines cholerischen Fabelwesens, entstanden aus Sinnbildern, um Machthierarchien zu schaffen und zu festigen.

Sinngemäß ist Alt's Botschaft: „Was können Gebete zur Bewahrung der Natur bewirken, wenn man mit einem Sprit fressenden Sportwagen 500 m weit in die Kirche fährt?“ Alt deutet die Bibeltexte nicht als Mysterium, sondern als klare Botschaften eines großen Denkers mit kristallklarem Menschenverstand. Eine der wichtigsten Botschaften ist, dass die Erde genug Energie und Nahrung für alle auf ihr beheimateten Wesen bietet, aber schon vor 2000 Jahren der Mann aus Nazareth erkannte, dass Gier das erforderliche Gleichgewicht zerstört. Mangel wird auf dieser Welt künstlich hervor gerufen, sei es durch kurzfristige wirtschaftliche Interessen Einzelner oder durch die dadurch begründeten Zerstörungen der Umwelt.

Jesus sprach damals in den Worten seiner Zeit und das nicht allein zur gebildeten Führungselite, sondern auch zum einfachen Volk, zu den Armen und den Ausgestoßenen. Seine Appelle waren nach heutigem Maßstab vielleicht schon der Anarchie nahe, in jedem Fall jedoch alles andere als absolutistisch, wie es die führenden Kirchen allesamt in ihrer Struktur und Toleranz gegenüber alternativen Ansichten sind. Die Botschaft Jesu ist – so macht es Dr. Alt deutlich – heute aktueller den je. Eine Energierevolution, basierend auf ausschließlich regenerativen Quellen, die autark ohne Abhängigkeiten von Staaten und multinationalen Konzernen nutzbar sind, kann nur von den Menschen selbst durchgesetzt werden. Der Staat wird dies nur verbal im Wahlkampf fördern, ansonsten eher im Sinne der mächtigen Energielobbyisten behindern.

Dr. Franz Alt: Der ökologische Jesus
Dr. Franz Alt: Der ökologische Jesus

„Blendende“ Politik

„Man erntet, was man sät!“ - Diese Weisheit begründet sich ebenfalls auf Jesus und ist vollends auf die Energietechnik und ihre Folgen übertragbar. Alt weist mit Recht darauf hin, dass jährlich ein beachtlicher Teil der Lebensmittel – nahezu die Hälfte – schlicht und einfach weggeworfen wird. Diese Erkenntnis allein ist schockierend und wird jedoch noch mehr zum Skandal, wenn man berücksichtigt, dass EU-weit Agrarflächen stillgelegt und dies auch noch mit Subventionen gefördert wurde. Bioabfälle werden in der industriellen Landwirtschaft nicht optimal verwertet und statt dessen wird Bioenergie als Grund der Verknappung von Nahrungsmitteln verteufelt. Man möge nach intensivem Nachdenken, seine eigenen Rückschlüsse ziehen.

Wie vor 2000 Jahren geht es nach wie vor in Deutschen Landen zu! So weiß Alt ein Beispiel aus dem Raum um Cuxhaven von 1998 zu zitieren, in dem die Politik versuchte, mit einer „Landschaftsbildbeeinträchtigungssteuer“ für Windkraftanlagen die chronisch klammen Gemeindekassen zu sanieren. Aus dem Buch geht leider nicht hervor, ob diese Steuer auch auf Dampfsäulen von den Kühltürmen der Großkraftwerke und den Straßenbau erhoben werden sollte, da beides nachweislich ebenfalls das Landschaftsbild beeinträchtigt. Es steht zu vermuten, dass dem nicht so ist.

Mobilität und der ökologische Jesus

Geteilter Meinung kann man über die Ansichten des Autors zum Thema Mobilität sein. Recht hat er zweifellos mit dem Hinweis, dass moderne Großstädte bereits dem Kollaps nahe sind und ein exorbitanter großer Anteil des individuellen Straßenverkehrs allein der Parkplatzsuche zuzuschreiben ist. Ob der öffentliche Personennahverkehr das Heilmittel im Sinne eines „ökologischen Jesus“ ist, ist allerdings etwas, worüber man trefflich streiten kann, denn einerseits ist der ÖPNV zweifellos ein sehr effektiver Beitrag zum Umweltschutz, andererseits bedeutet die Abkehr vom Individualverkehr auch, den Launen preistreibender Verkehrsmonopolisten und streikender Gewerkschaften ausgesetzt zu sein. Abgesehen davon bestimmen heute wirtschaftliche Sachzwänge die Fahrplangestaltung und darüber, welche Regionen mit öffentlichen Verkehrsmitteln überhaupt zumutbar erreichbar sind. Alt bekennt sich in seinem Werk ganz eindeutig zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, räumt aber auch selbst die Nutzung eines eigenen PKW ein. Der Autor macht deutlich, dass es auf Sinnhaftigkeit ankommt und gibt dem umweltfreundlichen Verkehrsmitteln wo immer es geht, den Vorzug. Die Brücke zwischen dem nicht flächendeckend ausgebauten Personennahverkehr und den individuellen Interessen der Menschen können bereits heute schon die Elektromobilität und Carsharing-Konzepte schlagen. Zudem gehört auch dazu, dass öffentliche Verkehrsmittel an den Interessen der Fahrgäste orientiert geplant werden und nicht an Profitinteressen der Unternehmen, die diese Verkehrswege – meist im Monopol – betreiben. Dass dies möglich ist, macht der Autor deutlich, indem er auf das Beispiel der Schweiz verweist. Dort hat die Eisenbahn eine große Tradition und wird auch von der Bevölkerung angenommen.

Die Arbeitsplätze

Alt zitiert Jesus auch in Bezug auf Arbeit und Arbeitsplätze: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nicht genügend Arbeiter!“ - Arbeit ist ein essentieller Lebensinhalt eines jeden Menschen und gibt Menschen Würde und einen Sinn für ihr Leben. 2000 Jahre später ist der Bedarf an Arbeit nach wie vor im Überschuss vorhanden, wohl aber fehlt es am Willen, diese fair zu vergüten. Der Autor wirft hier allerdings nicht den Stein gegen die Wirtschaft und die unfair gestalteten Finanzstrukturen einer globalisierten Welt, sondern appelliert dazu, selbst den Handschuh aufzunehmen und aktiv zu werden. Jesus würde einen heutigen Arbeitslosen fragen, warum „sie auf Unternehmer warten, statt selbst etwas zu unternehmen. Warum soll abhängige Arbeit menschenfreundlicher sein als selbständige, eigenverantwortliche Arbeit?“ (Zitat). - Der Autor ist dabei aber keinesfalls überheblich und auch nicht realitätsfremd. Wer das Buch liest, erkennt auch, dass nicht jeder zum Unternehmer geboren sein kann, aber Alt weist deutlich darauf hin, dass zu viele, die Ideen und die Möglichkeiten haben, etwas zu unternehmen, genau dies nicht tun.

Fazit

Dr. Alt ist bekannt für klare, manchmal polarisierende Worte, aber diese sind in seinem Werk „Der ökologische Jesus“ mit viel Sachverstand und präzisen Recherchen gut gewählt. Wer ein ausschließlich spirituelles Werk erwartet, aus dessen Seiten „Weihwasser“ rinnt und bei dessen Lektüre man gregorianische Chöre zu hören meint, der wird vielleicht enttäuscht sein. Der Autor schafft es in einer einzigartigen Weise, den gesunden Menschenverstand des Leser anzusprechen, der noch nicht einmal zuvor mit der Bibel oder Jesus Berührung gehabt haben muss. Der Theologe wird bei der Lektüre möglicherweise bemängeln, dass Alt die hierarchischen Strukturen der Kirchen und deren Anspruch auf vollkommene Weisheit in Frage stellt. In der Tat macht es dieses Werk jedoch so erfrischend angenehm lesbar, weil der Autor die Inhalte der Glaubenslehren, nicht aber die darum künstlich konstruierten Dogmen herausarbeitet. Gerade in der heutigen Zeit, die am Rande einer Klimakatastrophe mit für die Menschheit möglicherweise irreparablen Konsequenzen steht, eine Zeit, die von Kriegen um Rohstoffe und die Gier nach Reichtum einiger Weniger geprägt ist, zeigt sich, dass bereits vor 2000 Jahren ein Einzelner es vermochte, das Blenden und Täuschen der Mächtigen infrage zu stellen. Jesus wurde damals so gefährlich für das Establishment, dass er am Kreuz sterben musste. Heute ist das Risiko bedeutend geringer, auf diese fatalen Sachverhalte hinzuweisen und es ist bedeutend einfacher, etwas dagegen zu unternehmen.

„Der ökologische Jesus“ ist ein wichtiges Werk, dass den Leser wachrüttelt. Es ist zeitlos, solange Raubbau an der Natur betrieben wird. Es erhebt mahnend den Zeigefinger, aber – viel wichtiger – es motiviert, optimistisch in die Zukunft zu blicken und sie selbst zu gestalten bzw. aktiv an der Gestaltung mitzuwirken. Das kann jeder Einzelne tun und er kann sofort damit beginnen.

  • Der ökologische Jesus
  • Goldmann Verlag, 2003
  • 352 Seiten
  • ISBN: 978-3442151561 

(rs/02-2012)